Reit-EM Aachen

Ich war in Aachen bei der EM – obwohl ich direkt in der Nähe wohne – dieses Jahr nicht mehr. Obwohl das eine Gelegenheit sein sollte, die weltbesten Dressurreiter sehen zu können. Was ich eigentlich wirklich gerne würde. Aber …

Ach, Aachen

Die EM hat wieder einmal gezeigt, dass die internationalen Richter ihre Aufgabe nicht erfüllen. Wie kann eine Piaffe, bei der das Pferd deutlich hinter den Zügel kommt (gibt es den Ausdruck überhaupt noch?), bei der die Hinterhand nicht untertritt und Gewicht aufnimmt, wie kann eine solche Piaffe eine Zehn (ReiterRevue) bekommen? Wertnote zehn, das heißt „ausgezeichnet“. Wie kann man einen Ritt, der so locker und entspannt aussieht trotz höchster Versammlung (Beatriz Ferrer-Salat und Delgado) schlechter bewerten als verspanntes Gestrampel, beim dem das Pferd vergisst, dass es sich vorwärtsbewegen sollte? (Besser gesagt, beim dem dem Pferd nicht erlaubt wird, vorwärtszugehen, weil es sonst außer Kontrolle gerät? Hört es dann auf zu strampeln? Oder explodiert es?)

Weil das Vorderbein spektakulär hoch im Starken Trab kommt, beste Noten. Gleichzeitig tritt der Hinterhuf kaum über. Das ist dann unwichtig? Weil das Vorderbein in der Piaffe spektakulär hoch gehoben wird, ist es unwichtig, dass das Pferd weit hinter der Senkrechten ist? Dass es sich nicht setzt? Die Hanken nicht beugt?

Wie können internationale Dressurrichter verspanntes Strampeln gleichgut oder besser bewerten als lockere, entspannte Versammlung? Die Richter bestimmen mit ihren Wertnoten, was sie zu sehen bekommen. Sie bestimmen die Sieger, nach denen sich alle richten. Die Richter bestimmen die Vorbilder für die „Normalreiter“.

Der „Falsche Knick“

Das das Genick nicht mehr der höchste Punkt des Pferdes ist, wie auch die FEI-Richtlinien fordern, gerade in Piaffe, Passage, versammelten Trab, ist inzwischen eher üblich als die Ausnahme. Daran sind die Richter schuld, denn sie haben mit ihren Wertnoten unsere Sehgewohnheiten verändert. Ist das Pferd aber hinter der Senkrechten, wird es vom Zügel schmerzhaft dahin gezogen oder es spannt die untere Halsmuskulatur aktiv an. Muskeln, die eigentlich locker sein sollten. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht – auch für Pferde gelten die Regeln der Physik. Gilt Pferdeanatomie und Biomechanik nicht mehr für die internationale Dressurreiterei?

Trotzdem ist bei vielen Ritten während einer Dressurprüfung – international, Grand Prix, Grand Prix Kür – nicht mehr das Genick der höchste Punkt, sondern der Bereich zwischen dem zweiten und drittem Halswirbel. Die Pferde gehen mit „Falschem Knick“ – sehr oft und sehr lange. Es gibt sogar wissenschaftliche Arbeiten, die die Zeit genau quantifizieren. Und die feststellen, dass die Richter anscheinend das sehen möchten. Denn die Sieger und Plazierten in Aachen laufen so.

Früher war der „Falsche Knick“ ein schwerer Fehler bei einem Pferd. Heute machen Profi-Fotografen Fotos für Verkaufsanzeigen, in denen angehende Dressurpferde mit „Falschem Knick“ für viel Geld verkauft werden sollen. Anscheinend halten die Verkäufer das für verkaufsfördernd. Für schön. Aber es stört die „Federung“, die es einem Pferd ermöglicht, trotz seines Gewichtes einen gesunden Körper zu behalten. Schon bei einem Labrador(30kg) im langsamen Trab (6km/h) sind es pro Bein 150 kg – durch die Erdbeschleunigung, durch die Geschwingigkeit. Ein Pferd (Warmblut 600 kg) im starken Trab? Wieviel muss es abfedern können?

Aber auch für Dressurpferde, die einen Internationalen Grand Prix gehen können, gelten die Regeln der Biomechanik. Der Physik. Totilas hat das gerade wieder allen ins Gedächtnis gerufen. Ebenso wie für die vielen, vielen jungen Pferde, die jedes Jahr eingeritten werden. Junge, wundervolle Pferde, die so viel anbieten, die so vertrauensvoll sind – und die in so kurzer Zeit ihr Strahlen verlieren.

Blutende Pferdemäuler

In dreissig Jahren mit Pferden habe ich nie Blut im Pferdemaul erlebt, – und da waren durchaus Situationen mit leider „groben Bremsen“ dabei, Gruppenausritte (die eher zu Gruppenrennen wurden), Jagden und viel, viel Leichtsinn mit Pferd. Glücklicherweise haben unsere Pferde auf uns aufgepasst. Ich verstehe wirklich nicht, wie es den international „Weltbesten“ Dressurreitern, wie es einem Weltmeister des Dressurreitens gelingt, dem Pferd im Maul Wunden zuzufügen, dass sie bluten.

Der Schlaufzügel – inzwischen doch normal

Schlaufzügel auf dem Abreiteplätzen internationaler Turniere sieht man bei den Springreitern häufig, fast regelmässig. Bei uns in der Reithalle bei den Pferdebesitzern, die sich ansonsten wirklich um ein pferdegerechtes Leben mit täglich Weide in der Gruppe, mit großen Paddockboxen, und, und … bemühen; bei regelmässigem Unterricht und Beritt bei alten und jungen Pferden ohne Turnierambitionen – bei uns ist der Schlaufzügel jedenfalls für die Dressur meistens dabei. Entweder als Schlaufzügel oder als Thiedemannzügel/Köhlerzügel (der in seiner Hebelwirkung auf das Genickt nicht einmal als schlechte Variante des Schlaufzügels erkannt wird). Schlaufzügel bei „Otto-Normal-Reitern“, die sich bemühen, ihrem Pferd das Beste zu bieten.

Ebenso ist das gut fest gezogene Reithalfter üblich. Die eingedellten Nasenrücken bei den alten Pferden (durch Druckatrophie des Knochens) sieht man bei uns ebenfalls. Und die Pferde müssen regelmässig zum Zahnarzt, weil das eng verschnallte Reithalfter keine richtige Kaubewegung zulässt. Nur seitliche Verschiebung wie mit zusammengebissenen Zähnen sind möglich …

„Dressurpferde“, Normalpferde, mit denen sich ihre Besitzer kaum mit einem Schlaufzügel bewaffnet aus der sicheren Bahn heraus trauen.

Macht das Dressurreiten die Pferde so unsicher, gefährlich und explosiv? Oder verlagt das Dressurreiten nach Pferden, die so nervös, explosiv und gefährlich sind, dass sich mit ihnen ein „normaler“ Reiter nicht mehr aus der sicheren Halle wagen kann?

Was ist aus der Dressur geworden? Jedenfalls ist die „Dressurreiterei“ nichts, das ich sehen möchte. Es gibt Aussnahmen, selbst im internationalem Sport. Lichtblicke. Den meisten aber möchte ich nicht zusehen müssen.

Hinterlasse einen Kommentar